Bettina Castaño: Ein Leben für Flamenco

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Sie tanzt Flamenco an der Weltspitze. Die Appenzellerin Bettina Castaño hat die Grenzen des traditionellen spanischen Tanzes gesprengt. International ist sie mit ihren Fusion-Projekten erfolgreich. Trotzdem hat sie mit Vorurteilen zu kämpfen.

«Tanzen ist wie Spitzensport und zugleich auch seelische

Nahrung», sagt Tänzerin Bettina Castaño.

 

Das Gespräch führten Ida Sandl und Julia Nehmiz, Aktualisierung von: K.P.Dorrn

 

Hands-und-Feet-Plakat-ohne-SchriftBettina Castaño, Sie als Appenzellerin lassen nach der Matura alles stehen und liegen, um in Spanien Flamenco zu lernen.
War da ein Mann im Spiel?

Bettina Castaño: Schuld war Globi, der Held meiner Kindheit. Mein Lieblingsbuch hiess «Globi in Spanien». Darin tanzt er Flamenco und spielt Kastagnetten.

Hut ab vor Globi, Sie sind dem Flamenco bis heute treu geblieben.

Castaño: Ich wollte Flamenco tanzen, seit ich denken kann. Unsere Nachbarn in Teufen waren Spanier, bei denen habe ich die spanische Kultur aufgesogen. Ihre kitschigen Flamencopuppen fand ich toll. Ich habe auch anderes probiert wie Ballett, aber fasziniert hat mich Flamenco, und das tut er heute noch.

Was fasziniert Sie daran?

Castaño: Die Vielseitigkeit. Ich bin Tänzerin, und mit den Füssen, Kastagnetten und dem Tamburello Musikerin. Und die Gegensätze reizen mich, im Flamenco ist die Frau stark, hart, sec, und gleichzeitig weiblich und fein.

Ihre erste Lehrerin war eine spanische Zigeunerin in Andalusien.

Castaño: Sie hat kein Geld für den Unterricht genommen, aber sie war sehr streng. Ich war ein Jahr bei ihr. Sie hat mir erst etwas Neues gezeigt, wenn ich das Alte perfekt konnte. Zuerst dachte ich, ich hätte fast nichts gelernt. Später merkte ich, dass sie mir eigentlich alles beigebracht hat.

Und wie haben die Spanier auf die Schweizerin reagiert, die Flamenco tanzt?

Castaño: Ich spüre schon, dass ich Ausländerin bin. Zweimal hatte ich das Angebot, bei der offiziellen Tanzkompagnie von Sevilla einzusteigen. Aber die Frau bei der Behörde hat mir die Arbeitsgenehmigung verweigert. Sie sagte, wir haben genug begabte Flamencotänzerinnen in Spanien, wir brauchen keine Ausländerin. Damals war ich sehr enttäuscht, im Nachhinein war das mein Glück.

Was war daran glücklich?

Castaño: Ich musste kreativ sein, mich in einem harten Umfeld behaupten. Nachdem ich zehn Jahre bei Manolo Marin in Sevilla gelernt und illegal in seiner Kompagnie getanzt habe, habe ich mich selbständig gemacht.

 

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Sie kombinieren Flamenco mit anderer Musik. Haben Sie die Fusion erfunden?

Castaño: Es gab sicher vor mir Tänzer, die Ähnliches probiert haben. Ich kannte damals aber niemanden, der das gemacht hätte auch gab es noch kein youtube. Angefangen habe ich damit, als ich 1996 den kantonalen Kulturpreis von Appenzell Ausserrhoden verliehen bekam. Da wurde ich gefragt, was ich mir wünschen würde. Meine spanische Band einfliegen zu lassen, wäre viel zu teuer gewesen. Also habe ich gesagt, ich möchte zu Appenzeller Streichmusik tanzen.

Flamenco und Appenzeller Streichmusik, das klingt schräg.

Castaño: Es passt, weil ich diese Musik gern habe. Früher, bei unseren Schuldiscos in der Kanti Trogen, gab es immer einen Raum mit Streichmusik, und eigentlich hatten wir dort den meisten Spass. Ich habe während der Schulzeit auf dem Cello Appenzeller Streichmusik gespielt. Es ist Tanzmusik.

Waren die Traditionalisten nicht verärgert?

Castaño: Es gab einen Auftritt zusammen mit den Alder Buebe im Gasthaus Rossfall in Urnäsch. Da kamen viele Sennen, die waren zuerst skeptisch. Sennen sind als sehr traditionsbewusst bekannt. Sie haben dann aber ziemlich schnell begeistert mitgeklatscht. Das war fast so etwas wie eine Feuerprobe. Unterdessen ist dieses Programm ein Dauerbrenner.

Sie haben zu Bach und Kirchenmusik getanzt. Gibt es für Sie keine Grenzen?

Castaño: Die Musik muss mich berühren. Ich könnte nicht zu Techno tanzen. Weil der Flamenco aus so verschiedenen Musikstilen entstanden ist, passt vieles zu diesem Tanz.

Ein Projekt richtet sich gegen die Unterdrückung der Frau, vor allem in Indien.

Castaño: Ja, ich durfete sogar als erste „Nichtinderin“ vor dem Taj Mahal auftreten. Ich fühle mich geehrt und immer noch berührt. Im Tanz werde ich von einem indischen Maskenmonster, einem Kathakali-Tänzer, auf der Bühne angegriffen. Es geht eigentlich um die Gewalt gegen Frauen, die in Indien fast alltäglich ist und leider auch bei uns.

Es ist also ein politisches Projekt?

Castaño: Ich habe mich immer als unpolitisch gesehen. In letzter Zeit holte mich die Politik ein. Vor kurzem habe ich beim Tamburi-Mundi-Festival in Freiburg eine junge Iranerin kennengelernt. Sie spielt Santur, ein Instrument, das an das Hackbrett erinnert. Sie ist sehr begabt, aber als Frau darf sie in ihrem Land nicht auftreten. Gerne unterstütze ich sie. Auch habe ich veranlasst, dass junge indische Tänzerinnen aus ärmlichen Verhältnissen ins Flamenco Festival Stuttgart eingeladen werden. Und auf den Philippinen tanzte ich mit sexuell misshandelten Mädchen. Mit Tanz schenkt man Freude und Selbstvertrauen.

Wieso wurden Sie für das indische Projekt angefragt?

Castaño: Die Musiker wollten eine Tänzerin, die diesem Monster etwas Starkes entgegensetzt und sich wehrt. Flamenco ist ein sehr kraftvoller, selbstbewusster und ausdrucksstarker Tanz, der auch indische Elemente hat.

 

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Haben Sie noch Zeit für den klassischen Flamenco?

Castaño: Ich hatte in den letzten Jahren mehr Auftritte mit Fusion-Projekten als mit klassischem Flamenco. Aber im August trete ich ja mit Flamenco Puro in der Schweiz auf und 2017 wurde ich zum berühmten Rheingau Musik Festival eingeladen mit meiner 10 köpfigen Flamencokompanie.

Wie können Sie vom Flamenco leben?

Castaño: Mit Auftritten und Unterricht. Ich habe meine Flamencoschule in St. Gallen und auch ein Projekt in Kreuzlingen und Rapperswil mit Lehrerinnen, die meine Choreographien unterrichten, wenn ich weg bin. Und ich gebe regelmässig Workshops in Sevilla, Schweiz und Europa und auch einen bereits legendären internationalen Sommerkurs in Heiden/AR. Das gibt mir eine finanzielle Basis. Dadurch kann ich mir Projekte wie Indien leisten, an denen ich so gut wie nichts verdiene. Fördergelder oder Stipendien bekomme ich selten.

Warum nur selten?

Castaño: Ich falle zwischen Stuhl und Bank. Die Schweizer Institutionen lehnen ab, weil Flamenco nichts mit der Schweiz zu tun hat, die Spanier sagen nein, weil ich Schweizerin bin.

Das ist doch absurd.

Castaño: Irgendwie schon. Aber deswegen darf ich nicht verbittern. Es beginnt bereits, wenn ich das Gesuch stelle. Soll ich es für die Sparte Tanz oder Musik einreichen? Flamenco ist beides, Tanz und Musik! Die Musiker sind wichtig, ich brauche Kontakt zur Musik beim Tanzen. Nur mit Livemusik lässt sich Magie kreieren. Ich werde nie zu Playbackmusik auftreten.

Livemusiker sind teuer.

Castaño: Meine grossen Projekte kann ich momentan weniger aufführen, dafür habe ich aber tolle Duos und Trios mit fantastischen Musikern.

Auch in Spanien weniger?

Castaño: Flamenco wird nur von einer Minderheit goutiert, auch in Spanien. In den Klassen in Sevilla sind hauptsächlich Ausländer. Genauso in den Flamencotheatern, die Zuschauer sind in der grossen Mehrheit Touristen.

Sie sind international sehr erfolgreich. Haben Sie sich deshalb einen spanischen Namen zugelegt?

Castaño: International ist meine Schweizer Herkunft erst recht von Nachteil. Ein Künstlername ist nichts Ungewöhnliches, viele Tänzer haben einen. Meinen hat mir mein Lehrer in Berlin gegeben, in dessen Kompagnie ich vor meiner Ausbildung in Spanien ein Jahr lang tanzte. Er sagte, er könne nicht Bettina Sulzer ins Programmheft schreiben.

Was bedeutet Ihr Künstlername?

Castaño: Castaño heisst Kastanienbaum, mein Lehrer fand, mein Tanzstil sei erdig und doch elegant, wie ein Baum. Ich habe den Namen toll gefunden und ihn behalten.

Damals in Berlin lernten Sie auch Ihren Partner kennen.

Castaño: El Espina ist Gitarrist, wir arbeiten bis heute zusammen.

Ist das manchmal nicht arg viel Nähe?

Castaño: Wir ergänzen uns gut. Er ist nicht nur ein hervorragender Musiker, sondern auch ein guter Beobachter und Kritiker. Er hat eine pädagogische Ausbildung. Er hat meinen Unterricht beobachtet und mir viel wichtiges Feedback gegeben. Und er hat eine Notationsschrift entwickelt, mit der sich Flamencoschrittfolgen aufschreiben lassen und ist Produzent von all meinen Lern-DVDs und Unterrichtsmaterial.

Gibt es bei Ihnen auch ein Leben ausserhalb des Flamencos?

Castaño: Es ist weniger geworden. Unsere Freunde sind uns wichtig. Ich male gern, aber nicht mehr so viel wie früher. Rahmentrommeln lerne ich in meinen freien Minuten. Tanzen und Musik sind ebenfalls meine Hobbies, wenn Sie so wollen.

Machen Sie auch mal Ferien?

Castaño: Nein. Ferien ergeben sich manchmal, wenn ich unterwegs bin und noch ein paar Tage dranhänge. Gerade habe ich einen Kurs am Strand in Andalusien gegeben. Dieser Kurs ist für mich immer wie Ferien. Ich reise nie als Touristin in ein Land, das interessiert mich nicht. Ich möchte mit Künstlern, den Leuten von dort zusammen arbeiten.

Sie sagten, Sie verdienen als Tänzerin nicht viel. Haben Sie Angst vor dem Alter?

Castaño: Ich kann davon leben, ich habe eine AHV. Wenn ich nur an Sicherheit gedacht hätte, hätte ich nie getanzt. Ich habe Vertrauen, dass es gut kommt. Meine Musiker in Spanien konnten sich alle ein Haus finanzieren. Ich habe das Geld in Projekte gesteckt.

Viele Tänzer müssen den Beruf früh aufgeben.

Castaño: Mein ehemaliger Lehrer Manolo Marin ist jetzt zweiundachtzig Jahre alt und tanzt immer noch. Er ist ein Vorbild für mich. Ich selber habe das Gefühl, noch nie so gut getanzt zu haben wie jetzt. Ich bin freier im Improvisieren. Tanzen ist wie Spitzensport, zugleich aber seelische Nahrung. In unseren schwierigen Zeiten wird Musik, Tanz und Kunst sehr gebraucht. Wenn ein Volk keine Musik mehr hören und spielen könnte, würde es untergehen. Da bin ich mir sicher.

 

Bettina2Die aktuellen Programme und Auftritte findet ihr auf castano-flamenco.com

 

Am Wochenende 17./18. November ein breites Angebot von verschiedenen Kursen in St.Gallen:

– Tango de Málaga zum Auffrischen und neu Lernen.

– Gehörschulung (viel wichtiger als man denkt),

– Rhythmusschulung auch mit Hilfe des cajons,

– cajón, Einführungskurs für Neueinsteiger.

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