Kinder-Training im Tanzsport

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Bei den diesjährigen 10-Tanz Schweizermeisterschaften der Schüler und Junioren konnte man sich erneut über einige Talente in unseren Nachwuchs-Kategorien freuen. Auch wenn weiterhin kein Zuwachs an Paaren festzustellen ist, sind alle Jahre wieder neue Talente auszumachen.
Diese 10-Tanz Nachwuchs-Kategorien fotografiere ich mittlerweile seit 10 Jahren. Erstmals an der Eulachmesse in Winterthur 2005. Damals (und fast alle Jahre danach) freute ich mich an Talenten wie Pit Wibawa, Alessia Gigli, David Büchel, Flavio Martins und vielen anderen.

Insgesamt erstaunlich ist, dass auch in den letzten Jahren weiterhin keine allgemeine Steigerung des Niveaus erkennbar ist. Viele Kinder kommen nicht über das Einsteigerstadium hinaus und bleiben über 2-3 Jahre auf fast vergleichbarem Niveau. Doch genau in dieser Altersstufe müssten, wie in anderen Sportarten die grössten individuellen Fortschritte erzielt werden können!

Die Ursachen sind sicher vielschichtig…

 

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Grosse Anstrengungen

Mit grossen Anstrengungen schaffen es die Tanzschulen und die Clubs erfolgreich Kinder zum Tanzen zu bringen. Nach ersten Schülerkursen und Privatstunden werden die Kinder von den stolzen Müttern ins Training gebracht. Im Idealfall in Gruppentrainings. Doch wieviele Kinder-Trainingsgruppen haben wir in der Schweiz?  Bei einigen wenigen Clubs besteht bereits ein Angebot für ein regelmässiges Gruppentraining. Leider ist das Angebot lokal noch begrenzt.
Im schlechteren Fall und leider die übliche Praxis, werden sie in den Trainingssaal des Clubs gestellt: „So, dann trainiert mal was euch die Trainer in der letzten Stunde gezeigt haben!“

Doch wie trainiert man das? Einfach nochmals nachmachen und nochmals machen? Welches waren die wichtigen Kontrollpunkte in der Privatstunde? Wie kontrolliere ich mich? Was hat die Trainerin auch noch gesagt? Wie hat sie das gemeint? Jetzt habe ich das schon 5 Minuten gemacht…, was muss ich jetzt noch machen?

Es sind genau diese Fragen die sich unseren Kindern stellen. Es sind mehrheitlich diese oder ähnliche Abläufe die sich im „freien Training“ abspielen.
Doch mit diesen Anforderungen haben selbst Erwachsene ihre Mühe…

 

Wir lassen unsere Kinder alleine

In jeder anderen Sportart ist diese Struktur unvorstellbar! Keine andere Sportart lässt ihren Nachwuchs im Training so unbetreut. Stellt euch vor wie das in der Schule im Turnunterricht vonstatten gehen würde: Der Lehrer/Turnlehrer erscheint zu Beginn der Stunde in der Halle, erwähnt, dass an den gleichen Themen geübt werden solle wie in  der letzten Turnstunde und verlässt danach die Halle wieder. Auch hier wären die Kinder hoffnungslos überfordert!

Kernthema jeglicher Nachwuchs-Ausbildung und -förderung ist die intensive Anleitung und Betreuung der Kinder. In den letzten 10-15 Jahren ist es einigen Schweizer Sportverbänden gelungen durch langfristige Nachwuchskonzepte sich von der fast völligen Bedeutungslosigkeit an die Weltspitze hochzuarbeiten. Die Ruderer, die Bahn-/Strassen-Radfahrer und die Mädchen der Rhythmischen Sportgymnastik stehen fast aus dem Nichts heraus kurz vor der erfolgreichen Olympia-Qualifikation oder haben bereits konkrete Medaillen-Chancen für die Spiele in Rio. Da gäbe es noch viele andere erfolgreiche Beispiele aus anderen Verbänden.

 

Erfolgsbasis: Mehrmals die Woche

In allen Konzepten baut die Struktur auf mindestes 2-3 betreuten Trainings pro Woche auf. Zusätzlich einfache, konkrete Übungen um die körperlichen Voraussetzungen (Kraft und Beweglichkleit) zu erarbeiten. Übungen die die Kinder zu Hause absolvieren und von den Trainern mittels Trainingsplan kontrolliert werden. Aus verschiedenen Studien weiss man, dass für die Kinder 2-3 Trainings pro Woche die grösste Effizienz bieten. Gleichzeitig stellt man fest, dass um ein internationales Niveau zu erreichen, egal in welcher Sportart, mindestens 3 Trainings pro Woche notwendig sind.
Im Schweizer Tanzsport sind wir leider noch nicht am Ziel …

 

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Trainieren muss man lernen

Wir lernen unseren Kindern tanzen. Doch wir lernen ihnen nicht wie man trainiert. Trainings-Methodik und -Systematik ist im Schweizer Tanzsport mehrheitlich nur ein Randthema. Doch woher sollen die Kinder wissen, wie sie trainieren sollen?
Mittels zwei Gruppen-Trainings oder „geführten“ Privat-Trainings, zusätzlich zur wöchentlichen Privat-Stunde, wäre dieser Erfolgsfaktor schnell erarbeitbar.
Auch die „Karriere-Killer“-Faktoren wie „Wie gehe ich mit meinem Partner um, wie bringe ich positive Kritik an, wie gehe ich mit Kritik um?“ usw. können so von den erfahreren Trainer vermittelt, vorgelebt und vor allem gespiegelt werden. Auch Sportsgeist muss gelernt werden! Mit Niederlagen muss man umgehen können. Ganz selten sind die Wertungsrichter die Bösen. Mit Niederlagen und der richtigen Analyse werden Champions gemacht. Ohne überwundenen Wiederstand schmeckt ein Erfolg selten lange gut.

 

Eigeninitiative

Wer in der Schweiz tanzt und international an die Spitze will, muss viel Eigeninitiative zeigen. Man muss sich gezielt auf die internationale Spitze ausrichten und das internationale KnowHow beschaffen. Das war leider schon immer so in der Schweiz. Schon Walti Kaiser unser einziger Weltmeister musste in die Ferne. Danach Ruedi & Rita Baumann, Viktor & Daniela Berger, später Nicole Hansen, Laura Hafner, Tamara Sommer, Daniel Juvet usw. Früher „musste“ man nach England, heute geht man nach Italien, Russland oder Deutschland. Auch unsere aktuellen Spitzenpaare wie Mark Stalder & Yulia Dreier, Alessandro Cuoco & Olga Kosareva oder unsere erfolgreichen Senioren Jürg Briner & Katharina Egli, Alexander & Isabelle Florin richten sich seit Jahren auf  das KnowHow im Ausland aus.

Auch in anderen Sportarten ist das völlig üblich. Icehockey richtet sich nach Kanada und USA aus, ausländische Nachwuchs-Skifahrer kommen in die Schweiz oder nach Österreich zur Ausbildung.
Noch vor wenigen Jahren sahen die heimischen Tanztrainer solche „Fremdgeher“ nicht sehr gerne. Mittlerweile haben einige realisiert, dass eine Abschottung langfristig schädlich ist, dass eine Zusammenarbeit mit ausländischen Trainern sehr erfolgreich und auch erfrischend ist.

 

Wer packt das Thema an?

Viele Mütter (und Väter) versuchen in den Trainings ihren Kindern zu helfen und von den Trainern aufgeschnapptes Wissen einzubringen. Eine gut gemeinte Unterstützung in Ermangelung vorhandener Alternativen. Das geht solange gut, bis kurz vor oder in der Pubertät der Kinder. Genau da, wo die Kinder sich loslösen wollen und sollen, wo sie selbständig werden müssen, sind sie noch immer unter der Fuchtel der Eltern. In der hitzigen „Befreiung“ trifft es dann oft auch den vorher geliebten Sport. Was in anderen Sportarten gezielt verhindert wird, dass Eltern als Trainer fungieren, ist leider bei uns weit verbreitete Praxis… Den Eltern kann man dazu keine Vorwürfe machen. Ihnen bleibt als Alternative nur „wegschauen“ oder die Kinder zu anderen Sportarten mit gezielten, betreuten Sportförderungs-Programmen zuzuführen.

 

Wie erzielen wir die notwendige Leistungsbereitschaft bei den Kindern?

Oft wird von Trainern und Eltern die mangelnde Leistungsbereitschaft der Kinder erwähnt. Zu mehr als einem Training pro Woche seien die Kinder nicht zu motivieren…
Verständlich, Einzeltrainung ist per se nicht „kindergerecht“. Wer trainiert schon gerne alleine? Damit haben selbst wir Erwachsene Mühe.

In einem Gruppentraining, wo positiv gefordert wird, wo sich Kinder vergleichen und messen können, haben die Kinder grossen Spass! Leistungsbereitschaft entwickelt sich vor allem über vermittelte Werte des Leitenden. Wer einmal im einem regionalen Trainingscenter der Kunsturner/innen oder einer lokalen Radsportschule reingeschaut hat, wird sprachlos sein, mit welcher Freude und Selbstverständlichkeit die Kinder vollen Einsatz im sehr viel härteren Training geben! Und dies mindestens 3 mal die Woche.

 

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Wer schafft die Strukturen?

Die Tanzschulen und Clubs treiben mehrheitlich grosse Anstrengungen um Kinder in den Tanzsport zu bringen. Doch danach fehlt die Struktur und das Konzept gemeinsam diese Kinder auszubilden und ihre Leistungen zu fördern. So sehen wir alle Jahre neue, hoffnungsvolle Talente. Doch jedes Jahr stellen wir fest, dass Kinder, die bereits das 2. oder 3. Jahr starten, trotzdem wenig Fortschritte machen…

Der Verband, die Clubs und die Tanzschulen haben ein gemeinsames Ziel den Tanzsport zu fördern. Doch noch immer ist jegliche Zusammenarbeit leider nur lokal vorhanden. Im Idealfall arbeiten die Tanzschule und der ansässige Club im Kinderbereich zusammen. So bringen es einzelne Clubs dazu, dass wöchentlich oder monatlich ein Gruppentraining für Kinder angeboten werden kann.

Wann raffen sich der Verband, die Clubs, die Tanzschulen und die Trainer zu einem gemeinsamen Konzept zusammen? Für alle vier Parteien ist der Nachwuchs die Zukunft die ein Überleben (wirtschaftlich wie ideell) sichern kann. Doch zuvor muss investiert werden!
Durch den Verband in dem er Unterstützungs-Gelder spricht und nicht weitere Jahre hortet. Durch die Clubs und Tanzschulen indem sie Infrastrukturen und Organisation zur Verfügung stellen. Und durch die Trainer indem sie ohne Konkurrenzdenken zusammenarbeiten und ihre Leistungen kostengünstig für den Nachwuchs zur Verfügung stellen. Nur so werden sich alle vier Parteien mittel- und langfristig eine Basis für sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg aufbauen können!

Für einen solchen Neubeginn darf man sich nicht weiterhin hinter der Floskel „Man sollte…“ verstecken. Es ist tatkräftige Initiative notwendig. Vor allem sind hier die Club-Präsidenten/innen gefragt um einen Neubeginn in der Nachwuchsarbeit über den gemeinsamen Verband zu lancieren.

 

 

 

 

 

 

 

123 2 Comments on “Kinder-Training im Tanzsport

  1. Danke für den Artikel, dem ich, v.a. was der Spass an Gruppentrainings betrifft, gerne zustimme. Unser Sohn zB. mochte keine Privatlektionen im Eiskunstlauf, hingegen in Gruppentrainings wirkte er gelöst und zufrieden. Zur Entlastung von Verband und Tanzschulen: Allerdings ist wahrscheinlich das grösste Problem am fehlenden TanzNachwuchs in der Schweiz das schlechte Image und die mangelnde Akzeptanz des Tanzsportes in der Bevölkerung, sowie die bewusste Förderung von „Volkssportarten“ wie Fussball und Eishockey. Jungs werden hierzulande leider immer noch belächelt, wenn sie sich für Tanzsport (nicht HipHop oder Breakdance) interessieren. Aber das beginnt halt schon in der Familie, bei den Eltern. Ich habe viele Familien gesehen, deren Mädchen Ballett oder Eiskunstlauf machten, aber es war von Anfang an klar, dass der Bruder Eishockey spielen wird oder bestenfalls ins Kunstturnen geht. Meine Einladungen, Freunde unseres Sohnes, mal in einen Tanzunterricht oder an ein Turnier zu nehmen, wurden glatt ignoriert oder abgetan mit der Begründung, dass er nicht tanzen mag. Ich meine, man gibt den Jungs hier gar keine Chance, den Tanzsport auszuprobieren. Sicherlich würde noch mancher Junge da hängenbleiben, wenn man ihm nur einmal die Chance geben würde, diese Sportart auszuprobieren. Erst, als ein Bericht unseres Sohnes in der Zeitung erschienen war, outete er sich in der Schule und konnte zu seinem Lieblingssport stehen. Wir waren diesen Sommer in Russland in den Ferien und besuchten diverse Shows: wie schön war es anzusehen, dass dort Männer und Jungs gleichermassen – sogar in der Überzahl! – auf den Bühnen tanzen. Dort gibt es in der Schule Fächer wie Choreographie usw. Es tat unserem Jungen so gut, zu sehen, dass er dort kein Exot wäre. In seiner Ballettschule hier hingegen gibt es 300 Mädchen und 2 Jungs. Dies zur Entlastung von Verband und Tanzschulen!

  2. Ich fand es ganz interessant, dass der Vizemeister in der Kinder Kategorie (Sviatoslav Shkabarin) erst vor einem Jahr mit dem Tanzsport angefangen hat – wenn Tilo und Jale ihren ersten Schweizermeister Titel gewonnen haben.
    Gute Trainer können echt Wunder wirken.

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