Holger Nitsche: „Wann gibt es den nächsten Weltmeistertitel für die Schweiz?“

holger-portrat1Seit drei Jahren betreibt Holger Nitsche, der mehrfache Europa- und Weltmeister (zBsp. 1997 Weltmeister Latein Amateure mit Charlotte Egstrand) die eigene „Nitsche Dance Academy“ mit Standorten in Freiburg und Karlsruhe.
Die Grundidee der Dance Academy ist eine praktische und theoretische Ausbildung für TurniertänzerInnen in den lateinamerikanischen Tänzen. In dieser Form, wie sie durch Holger Nitsche präsentiert wird, ist sie ein Novum in Deutschland. Unter seiner Leitung und mit der fachlichen Mithilfe der Profiweltmeisterin Bianka Schreiber ist ein Konzept entstanden, welches dem Tänzer eine qualifizierte Komplettausbildung im Tanz bietet. Neben der Technik der Latein-Tänze werden Grundlagen anderer wichtiger Tanzdisziplinen mitgelernt.
Dazu gehören Tänze wie Ballett, Flamenco, Afro, Cuban, Modern Jazz etc. Für die binnenkörperliche Qualität der Bewegung werden Techniken wie Pilates, Feldenkrais, Alexander Technik und viele mehr für die Entwicklung des Tänzers mit einbezogen. Das Besondere und Einzigartige der Academy ist die gleichzeitige Zusammenarbeit mehrerer Spitzentrainer zu einem Thema, sowie die Auswahl von Spezialisten unterschiedlicher Tanzstile.
Schon kurz nach Eröffnung der Academy in Freiburg hat das übergreifende Konzept die Schweizer Latein-Paare überzeugt. Zeitweise sind jeden Mittwoch-Abend 6-8 Paare nach Freiburg D gepilgert.
Holger Nitsche kennt daher die Schweizer Latein-Szene sehr gut und hat die Entwicklung unserer Spitzenpaare massgeblich mitgeprägt. Wir haben ihn um eine Einschätzung der Entwicklung angefragt.
Wie immer hat Holger alle Leidenschaft in einen interessanten Artikel gepackt:


Zielsetzung und Focus im Tanzsport

Weltmeister Professionals 1965: Walter & Marianne Kaiser, Switzerland

Weltmeister Professionals 1965: Walter & Marianne Kaiser, Switzerland

Ich habe mich oft gefragt warum es der Schweiz seit Walter & Marianne Kaiser (1965) nicht mehr gegönnt war einen Weltmeistertitel zu ertanzen, denn meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es nicht an fehlendem Talent liegen kann. Vielmehr fällt mir auf, dass wie bei allen anderen Dingen im Leben der Erfolg einer Sache hauptsächlich auf die richtige Zielsetzung, die nötige Disziplin und das beharrliche Durchhaltevermögen zurück zuführen ist.

„Wer Erfolg haben möchte muss planen, denn Erfolg beginnt auf dem Papier.“

Die jungen Menschen von heute sind nicht mehr bereit Zeit zu investieren, um einer Leidenschaft intensiv nachzugehen. Stellt sich nicht unmittelbar Erfolg ein, wird die Sache verworfen. Im Tanzen bedeutet das, man trennt sich ziemlich schnell vom Partner und gibt deutlich zu früh auf.
Der Tanzsport ist eine sehr komplexe Sportart, bei der die rein tänzerische, qualitative Leistung nur die grundlegend notwendige Voraussetzung darstellt. Um jedoch erfolgreich zu sein und international bestehen zu können, braucht man in unserem Sport viele Bausteine.
Beginnen sollte eine erfolgreiche Tanzkarriere immer in der uneingeschränkten Leidenschaft zum Tanz und in der Bereitschaft alles geben zu wollen was notwendig ist.
Dies fehlt mir in der Einstellung der meisten Paare!

Ich habe leider schon viele Talente gesehen, denen auf dem Weg nach oben sehr schnell die Puste ausgegangen ist. Die Motivation war und ist schon immer die Grundlage und die Basis für jeden Erfolg. Das Ziel ist es sie zu erhalten und ständig neu aufzubauen. Der Trainer sollte dabei nur unterstützten, denn die Hauptmotivation muss vom Paar selbst kommen.

„Schüler sind keine Fässer die gefüllt werden, sondern Feuer die man entfachen sollte.“ Waldo Emmersen

In den letzten 3 Jahren ist es mir gelungen junge Talente aus der Schweiz in meiner Tanzacademy in Freiburg zu bündeln und ihnen ein tänzerisches Zuhause zu bieten. Durch systematisches Aufbautraining und tänzerische Horizonterweiterung sind einige Paare aus ihrer Lethargie erwacht und haben schöne Entwicklungen vorzuweisen, die sich in Ergebnissen deutlich niedergeschlagen haben.


Um nun die Voraussetzung zu schaffen erfolgreich zu sein braucht man zusätzlich zum Talent folgende Einstellungen und Zielsetzungen:

1. Zielsetzung: Trainingsplanung und Wettkampfplanung

Nur mit einem systematischen Trainingsplan und gezielten Trainingsinhalten ist es möglich international mitzuhalten. Dabei sollte ein gutes Tanzpaar auf Minimum 5 Trainingseinheiten a 2 Stunden pro Woche kommen. Der Trainingsinhalt muss klar definiert sein und regelmäßig vom Trainer überwacht und verändert werden. Dies ist den meisten bekannt, jedoch findet das Prinzip in der Praxis kaum nachhaltige Anwendung.
Zusätzlich zum Trainingsplan braucht der Turniertänzer einen Wettkampfplan, um zu kontrollieren, ob die Trainingsziele gut waren und man sie im Turnier umsetzen konnte.

Planloses Turniertanzen ist somit unzweckmäßig!

Der Kopf und der Körper spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. Sie verhalten sich im Training und Wettkampf konträr.

Es gilt…

„Im Training denkt der Kopf und tanzt der Körper; im Turnier tanzt der Kopf und denkt der Körper“

Wer somit seine Bewegungen im Training erlernt, versteht und automatisiert, kann sich später im Turnier auf seine Fertigkeiten verlassen. Der Geist wird frei und bewegt sich beschwingt im „Jetzt“ mit Musik, Partner und momentanen Geschehen.


2. Zielsetzung: Anwesenheit bei internationalen Turnieren

Ein schöner Satz sagt: „Wer nicht kommt, kann nicht gewinnen.“ Wie oft bin ich bei einem großen Turnieren und sehe in der Startliste kein einziges Schweizer Paar! Wieso eigentlich nicht? Gerade unsere Sportdisziplin erfordert ein regelmäßiges Erscheinen. Man muss sich der Welt zeigen. Im Gespräch zu sein ist wichtig, da die Wertungsrichter letztendlich den Ausgang eines Turniers entscheiden. Dies haben viele Turniertänzer leider bis heute noch nicht verstanden.
Vollkommen unverständlich und nicht nachvollziehbar ist für mich die Tatsache, dass die Landesvertreter an Welt- und Europameisterschaften durch den Sportverband unabhängig vom erreichten Resultat nicht finanziell unterstützt werden. Auch hier geht es darum gesehen zu werden, das eigenen Land mit Stolz zu vertreten, auch wenn dies nur eine oder zwei Runden zu tanzen bedeutet.


3. Zielsetzung: Durchhaltevermögen und eiserne Disziplin

Dies ist heutzutage wohl die schwerste Aufgabe vor der die jungen Paare stehen.

Merke: „Etwas zu erreichen bedeutet an etwas dran zu bleiben.“

Die richtige Mischung zwischen Disziplin und Flexibilität ist hier die Zauberformel. Zuviel Disziplin endet in einer selbstzerstörerischen Verkrampfung. Zuviel Flexibilität und Freiheit hingegen in fehlendem Fokus. Wer viel leistet darf auch gern mal eine verdiente Pause einlegen. Jeder kennt das Gefühl wie lohnend und erholend eine Pause sein kann. Meistens geht es hinterher sogar noch besser. Dies funktioniert jedoch nur, wenn die eiserne Disziplin im Vorfeld durchgeführt und eingehalten wurde und nicht etwa wenn die Pausen zur Gewohnheit werden.

Wer durchhält wird später auch belohnt. Dabei gehört das Verlieren zum Gewinnen dazu.

„Nur wer es lernt zuerst zu verlieren, kann auch eines Tages ohne Probleme gewinnen.“


4. Zielsetzung: Akzeptiere und respektiere deinen Partner

Vergleichbar mit anderen Sportarten ist auch der Tanzsport ein Teamsport. Anstatt 11 Mann auf dem Feld sind wir halt nur zu zweit. Wenn einer von beiden seine Leistung nicht erbringt, krank ist oder emotional verstimmt ist, hat das eine große Auswirkung auf das Ergebnis des Tanzpaares. Man sollte somit alles daran legen seinen Partner so gut es geht zu unterstützen, ihn aufzubauen und ihm seinen Respekt zu erweisen.

„Das Team ist genau so gut, wie das schwächste Glied in der Kette.“

Es gibt nichts schöneres, als einem Paar zu zuschauen, dass Spaß hat an der gemeinsamen Bewegung. Jeder der tanzt weiß wie schwer das ist, deshalb ist die Qualität nicht hoch genug einzuschätzen. Für mich als Wertungsrichter einer der höchsten Bewertungskriterien.

Ich bin mir sicher, wenn die Tänzer sich wieder etwas mehr an die Zielsetzungen halten würden, der Spaß und Erfolg eine logische Konsequenz daraus wären. Ich fände es sehr schön, wenn es auch in der Schweiz bald wieder einen Europa oder Weltmeister gäbe.

Meine Unterstützung habt ihr…ich brauche nur noch Eure!

Holger Nitsche


Anmerkung der Redaktion:
Im Vorfeld zu dieser Publikation hat sich Holger Nitsche mit einer Tschechischen Trainerin unterhalten und den Bericht zum Korrekturlesen übergeben. Sie äusserte sich spontan, dass der Artikel in ähnlicher Weise auch auf die Tschechische Republik übertragen werden könnte…


Weitere Infos zum interessanten Konzept von Holger Nitsche:

www.holger-nitsche.com

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