Das neue IDSF Wertungssystem: absolut statt relativ!
Am ersten Tag der STSV Wertungsrichter-Weiterbildung 2011 informierte der IDSF Sportdirector Marco Sietas auch über das neue IDSF Wertungssystem.
Der Tanzsport und unsere Gesellschaft haben sich in den letzten 10 Jahren rasant weiterentwickelt. Trainer und Paare wenden neue Techniken an, die exaktere, schnellere, akrobatischere Bewegungen und detailliertere Ausdruckformen ermöglichen. Die Zuschauer wollen Entscheidungen nachvollziehen und mit den Sportlern mitfiebern können. Medien wollen attraktive Formate und hautnah berichten können. Doch unser Wertungsystem basiert auf Standards aus den 40er/50er Jahren…
Was in anderen Verbänden wie der International (Ice-)Skating Union ISU, beim WRRC (Rock’n’Roll) und bei der IDO International Dance Organisation längst vollzogen wurde, soll nun auch bei den Standard- und Latein-Turnieren Einzug halten. Bereits 2009 hat die IDSF das Konzept erstmals vorgestellt. Basierend auf dem Wertungssystem der ISU, das vom Olympischen Kommitee anerkannt ist, hat man ein Konzept entwickelt, Definitionen erstellt und erste Testturniere durchgeführt.
Das neue Wertungs-System wurde bereits beim GrandSlam-Finale in Shanghai (Dezember) erfolgreich eingesetzt. Ebenso ist ein Test bei den Italienischen Meisterschaften gemacht worden. In Zukunft will man dieses System bei den Weltmeisterschaften (Hauptklasse), dem GrandSlam-Finale und den World Games einsetzen. Alle andern IDSF-Turniere inkl. der Vorrunden der genannten Events werden wie bisher gewertet.
Absolut und nicht relativ
Das bisherige System bewertet immer relativ, im Vergleich zu den anderen Paaren auf der Fläche (Wer ist besser/schlechter als?).
Das neue System berücksichtigt fünf gleichwertige Bertungskriterien mit jeweils einer Bewertungs-Skala 0-10.
- PB Posture, Balance, Coordination
- QM Quality of Movement
- MM Movement to music
- PS Partnering Skill
- CP Choreography and Presentation
Die Wertungsrichter bewerten absolut, nach einem festgelegten Werte-Katalog (zBsp: Technische Komponenten, Programm-Komponenten und Abzügen bei Fehlern). Zum Schluss erhält das Paar also einen absoluten Wert zBsp. 46.5 für seinen Samba-Vortrag, also ein konkretes Feedback. Wer nach fünf Tänzen die höchste Punktzahl erreicht gewinnt.
Grundlage dazu ist, dass das Format erneut ändert: In den Vorrunden die bisherige Wertung mittels Marks, ab Final alle fünf Tänze solo.
Was für ein spannendes Spektakel für die Zuschauer, wenn die Fähigkeiten der Paare einzeln bestaunt werden können, wenn nach jedem Tanz die Wertung offen nachvollzogen werden kann!
Wesentlich höhere Anforderungen an die WR
Nach der Präsentation der Grundlagen erhielten die anwesenden Wertungrichter die Gelegenheit das System gleich bei einem kleinen Show-Turnier der anwesenden Domonstrationspaaren anzuwenden. Wobei Marco Sietas den Paaren konkrete Vorgaben machten, in welcher Art sie tanzen sollten, ohne dass die WR diese Vorgaben kannten. Vor dem Turnier gab Marco Sietas vor, in welchem Bereich bei diesem Turnier bewertet werden darf: 3.5 – 5.5. Diese Vorgaben erlauben das Bewertungs-System an das Niveau der Paare anzupassen. Einer 10er-Wertung wird daher nur an Turnieren mit der Weltspitze erreicht werden können. Diese Systematik wird zBsp. auch bei anderen Sportarten so angewendet und erlaubt speziell die Entwicklungsstufen (technische Fähigkeiten, Figurenkatalog usw.) der Paare zu berücksichtigen und damit bezüglich Über- und Unterforderungen korrigierend einzugreifen. Man kann damit also auch das Schwergewicht der Ausbildung steuern.
Die Bewertung erfordert ein konsequentes Umdenken. Waren sich die WR bis anhin gewohnt, dass sie einzelne Kriterien höher priorisierten, mussten sie nun fünf Kriterien gleichwertig berücksichtigen. Dies führte dann sogleich zu Diskussionen: Steht jetzt Takt/Rhythmus über allen Kriterien oder kann ich ein Paar mit guter Technik und hervorragender Harmonie trotzdem bewerten? Tatsächlich muss nun ein Paar trotz einzelnen schlechter Kriterien bewertet werden.
Da die Paare im Final einzeln tanzen, haben die Wertungsrichter zwar wesentlich mehr Zeit, doch die Anforderungen sind wesentlich höher! So muss ein Wertungsrichter gleichzeitig fünf Kriterien bewerten. Dazu benötigt er umfassendes Wissen über Techniken, Figurenkataloge und Abzug-Bewertungen. Die grösste Herausforderung besteht daher darin, entsprechende Technik-Kriterien und Figurenkataloge aktuell zu halten und die WR sehr zeitnah zu schulen. Sehr gut möglich, dass auch nur eine kleiner Teil der IDSF-WR (Experten) für das neue System ausgebildet werden.
Vergleichbare Systeme sind beim WRRC und IDO längstens im Einsatz. Wieso soll das bei Standard & Latein nicht auch möglich sein?
Gerechter und transparenter
Doch das neue System ist mit Sicherheit wesentlich gerechter und transparenter. Da für alle der vorgegeben Kriterien Punkte abgegeben werden müssen, werden persönliche Empfindungen wie „Das Paar gefällt mir nicht, die Frau ist mir unsympathisch, der Typ hat letzten Frühling meinen Workshop frühzeitig verlassen…“ wesentlich in den Hintergrund gedrückt. Die Bewertung ist aufgrund von den Figuren-Katalogen, den Technischen Vorgaben und den reglementierten Abzügen nachprüfbar. Selbstverständlich bleibt den WR trotzdem ein persönlicher Interpretationsspielraum. Aber sein eigenes Paar in den „Himmel“ zu werten und die direkten Kontrahenten mit 6er zu bestrafen, würde mit der absoluten Wertung sofort aufgedeckt.
Alleine schon durch die zu erreichende Transparenz, die Möglichkeit die Bewertung wenigstens teilweise nachvollziehen zu können, wird das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des Tanzsportes wesentlich erhöht. Nur schon die Tatsache, dass die WR für Ihre Bewertung einstehen müssen, ist ein wichtiger Schritt Mauscheleien zur erschweren. Die verdeckte Wertung an Turnieren, wo dem Publikum und den Medien nur die Entscheidung der „hohen Herren“ mittels Rangliste mitgeteilt wird, ist ein Kind aus längst überholten Zeiten.
Noch nicht perfekt…
Das neue System ist mit Sicherheit noch nicht perfekt. So lässt sich die Einzelbewertung lediglich in den Finals nutzen. Alle Vorrunden müssen weiterhin nach dem bisherigen System bewertet werden. Um so wichtiger ist, die Wertungskriterien des bisherigen Systems laufend den neuen Anforderungen anzupassen, so wie es in anderen Sportarten längst üblich ist. Wenn Roger Federer, Simon Amann und Didier Cuche noch mit der gleichen Technik wie zu Beginn ihrer Karriere aktiv wären, würden sie keinen Blumentopf mehr gewinnen. Basis dazu ist die konsequente Anpassung von Reglementen durch die internationalen Sportverbände.
Das neue Wertungs-System bietet unserem Tanzsport sehr viel Potential für wesentliche Verbesserungen bezüglich fairer Bewertung und mediengerechter Umsetzung. Durch die Integration in die internationalen Olympischen Interessens-Organisationen und dem Einblick in Systeme ähnlicher Sportdisziplinen wurden dem IDSF neue Möglichkeiten aufgezeigt.
Es wird noch ein langer Weg mit vielen Hindernissen sein… Doch wer ein Ziel hat, muss sich auch auf den Weg machen.
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