STSV Wertungsrichter-Weiterbildung: Wertung und Entwicklung im Tanzsport

Bericht: Daniel Helbling

wm08-prolat-043-580Am zweiten Tag der obligatorischen Weiterbildung für STSV-Wertungsrichter lag der Schwerpunkt bei der Bewertung von Paaren der D-B Klasse, sowie der Bewertung von Schüler- und Jugendpaaren. Geleitet wurde diese Ausbildung vom IDSF Sports Director Marco Sietas, der dabei eine Brücke vom höchsten Niveau im internationalen Tanzsport zum stufengerechten Werten in tieferen Klassen schlug.

Marco Sietas machte deutlich, dass bei einem D-B Turnier nicht mit denselben Ellen gemessen werden darf, wie bei einem WM-Finale. Auf der andern Seite darf man aber bei der Bewertung eines Turniers mit tieferem Niveau die internationale Entwicklung im Tanzsport nicht aus den Augen verlieren, denn letztendlich sollen diese Paare ja an ein internationales Top-Niveau herangeführt werden. Dafür sind nicht nur die Pare selbst und die Trainer verantwortlich, sondern auch die Wertungsrichter, die mit ihren Wertungen die Entwicklung des Tanzsports massgeblich beeinflussen. Marco Sietas hat daher eindrücklich auch auf die grosse Verantwortung der Wertungsrichter hingewiesen.

Wie den Wertungsrichtern, Trainern und Paaren bekannt sein sollte, bestehen unsere Wertungskriterien aus 4 Gebieten mit jeweils 3 Teilgebieten. Die 3 Teilgebiete differenzieren dabei das jeweilige Wertungsgebiet nach Grob-, Fein- und Feinstform.
(Siehe Wertungsrichterreglement Kapitel 4.4)
Dass man alle 12 Punkte innerhalb 90 Sekunden gleichzeitig auf alle Paare anwenden kann ist unmöglich. Daher empfahl Marco Sietas, den Fokus beim Werten, abhängig von der Stärkeklasse und der Runde, stufengerecht auf nur einen einzelnen Punkt zu richten. Als Beispiel den Takt in einer Vorrunde der Schüler- oder D-Klasse, im Gegensatz dazu am andern Ende der Skala den Punkt „ persönliche Interpretation“ in einem WM-Finale. Die Reaktion und Diskussion der anwesenden Wertungsrichter zeigte, dass nicht alle mit diesem Vorschlag einverstanden waren und vielmehr für eine ganzheitliche Betrachtung/Bewertung der Paare plädierten. Bewusst hat Marco Sietas mit spontanen Fragen und teilweise provokativen Statements solche Diskussionen ausgelöst, denn durch die Diskussion wird man auch zum Nachdenken und Ueberprüfen der eigenen Position angeregt. Und nur dadurch ist auch eine Entwicklung im Tanzsport auf allen Ebenen möglich. Obwohl anders formuliert, weicht die Empfehlung von Marco Sietas übrigens in den leistungsschwächeren Klassen kaum von unserem Reglement ab. Da müssen zwar angefangen vom Takt bis hin zur Charakteristik alle WR-Gebiete angewendet werden, sobald aber eine Rangierung der Paare bereits im 1. Kriterium (Takt) möglich ist, dürfen die andern Kriterien nicht mehr berücksichtigt werden. Somit kommt in der Praxis zumindest in den unteren Klassen letztendlich auch bei uns meist nur das eine Kriterium (Takt) zur Anwendung. Wie auch immer, unabhängig davon, ob man nun von der Empfehlung von Marco Sietas oder aber eher einer ganzheitlicheren Betrachtung überzeugt ist, massgeblich ist das geltende Wertungsrichterreglement wie es übrigens nach wie vor auch in Deutschland und Oesterreich zum Einsatz kommt. (Bezüglich Umsetzung der WR-Gebiete siehe Kapitel 4.3.3 – 4.3.5)

Bei den weiteren Ausführungen lag der Schwerpunkt auf den Gebieten Musik und Balancen. Damit nicht alles nur graue Theorie blieb, wurde Marco Sietas durch die Paare Alexander/Isabelle, Daniel/Anna und Mark/Julia im Standard, sowie durch Sophie und Paul im Latein unterstützt. Einen herzlichen Dank diesen Paaren, hatten sie doch einen extrem schwierigen Job, denn ihre Aufgabe bestand darin, ohne grosse Vorbereitung die Ausführungen von Marco Sietas zu visualisieren.

Im Thema Musik und Balancen wurde eindrücklich die Wechselwirkung dieser beiden Kriterien aufgezeigt. Obwohl die Musik das wichtigste Wertungskriterium ist, muss der Fokus der Trainer und Paare vermehrt bei den Balancen liegen. Das ist kein Wiederspruch, denn nur mit einem absolut balancierten Körper hat man auch die vollständige Kontrolle über die Bewegungssteuerung d.h. WANN man WAS WIE mit WEM WOHIN und WIEVIEL umsetzen will. Besonders die russischen Paare beherrschen dies in Perfektion. Fehlt diese Kontrolle, so ist man Sklave der eigene Unbalance was wiederum am besten beim Takt, Rhythmus und der Musikalität (im negativen Sinne) sichtbar wird. Ein extrem langsam gepielter SF oder ein EW, bei welchem man auf dem Kulminationspunkt der Bewegung für eine Takt ausharrt bevor man weiter zum nächsten Kulminationspunkt tanzt, entlarvt gnadenlos die Schwächen in diesem Gebiet. Somit ist dies eine Uebung, die in jedes Trainingsrepertoire gehört. Ein Wertungsrichter hat allerdings diese „Hilfsmittel“ nicht zur Verfügung, denn er muss ja in normalem Tempo ausgeführte Bewegungsabfolgen bewerten.

Obwohl es kein Wertungsgebiet „Technik“ mehr gibt heisst dies noch lange nicht, dass man diesem Punkt als Paar oder als Wertungsrichter keine Beachtung mehr schenken soll. Im Gegenteil, denn an Stelle der ehemals isoliert betrachteten Technik ist nun die (technisch) korrekte Ausführung der Bewegung gerückt. Auch hier hat Marco Sietas mit Hilfe der Paare und mit seinen eigenen Demonstrationen an einem einfachen Beispiel (Rückwärtsschritte im EW und SF) gezeigt, wie Balancen, korrekter Fuss- und Beinarbeit, Körperlinien und Takt/Rhythmus zusammenhängen.

Selbst der Wiener Walzer, der normalerweise an solchen Schulungen (und im Training der meisten Paare) vernachlässigt wird, war an diesem Sonntag sehr wohl ein Thema. Zur Erinnerung: Schlag 1 ist im Timing noch nicht korrekt ausgeführt, wenn der vorwärts gehende Partner mit dem Absatz des Schreitbeines den Boden berührt, sondern erst dann, wenn auch der Körperschwerpunkt über dem Standbein angekommen ist. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass auch die Schläge 2 und 3 richtig zur Musik umgesetzt werden können. Entscheidend ist aber auch, dass der aus der Standbeinaktion ausgelöste Schwung nun nicht um den Partner herum, sondern entlang der Tanzrichtung, d.h. am Partner vorbei, ausgeführt wird.

Dass auch im Latein sowohl für die Tänzer wie auch die Wertungsrichter die Schwierigkeiten im Detail liegen, konnten wir selbst an den Forward- und Backward Rumba-Walks erfahren. Auch hier ist ein sauberes Timing nur möglich, wenn die Balancen stimmen und die Fuss- und Beinarbeit technisch korrekt mit entsprechend richtiger Gewichtsverteilung/Belastung ausgeführt werden. Eine wichtige Rolle spielt im Latein die Körperrhythmik. An diesem Lehrgang konzentrierten wir uns hier auf die Aktionen im Körperzentrum und Becken. Besonders Schüler- und Jugendpaare neigen oft dazu, die Rumba überbetont und abgehackt, statt mit weichen, fliessenden, durchgängigen Bewegungen zu tanzen. Doch letztendlich entscheiden auch hier die Wertungsrichter, ob sie das belohnen wollen oder nicht.

Alle Details genau zu analysieren ist natürlich für einen Wertungsrichter in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, aber auch nicht nötig, denn bewertet wird schlussendlich nur der „Output“. Daher war es Marco Sietas auch ein Anliegen, das Auge der Wertungsrichter an unterschiedlichen Ausführungsbeispielen nicht nur in der Rumba, sondern auch im ChaCha und dem Jive zu schulen.

Eine Bemerkung ging dabei auch an die Adresse der DJ’s. Wie soll ein Paar z.B. den polyrhythmischen Charakter eines ChaChaCha richtig ausführen und zeigen können, wenn ein Disco- oder Techno-ChaChaCha gespielt wird? Wie soll man zu einem Rock’n’Roll einen charakteristischen smooth and swinging Jive tanzen? Hier müsste ein Turnierleiter eingreifen, doch ist es in den meisten Ländern nicht Pflicht, dass ein Turnierleiter gleichzeitig auch ein Experte für Turniermusik ist. Mehrmals betonte Marco Sietas an diesem Tag auch, dass beim Werten nicht höher, weiter und schneller, sondern die Qualität zählen sollte.

Das Thema „rhythmische Betonung und Bouncing“ in der Samba führte zum Schluss des Lehrganges nochmals zu einer regen Diskussion. Dabei zeigte sich, dass die Divergenz zwischen den „Referenzwerken“ von Walter Laird (Latein) / Guy Howard (Standard) und der von den Top-Paaren aktuell praktizierten Ausführung in gewissen Gebieten zunehmend grösser wird. So ist z.B. der Samba-Bounce bei vielen Top-Paaren durch die gesamte Darbietung hindurch kaum mehr sichtbar. In diesem Zusammenhang plädierte Marco Sietas dafür, dass man sich als Wertungsrichter nicht an veralteten Dingen orientieren soll die man selbst vor Jahrzenten gelernt und getanzt hat, sondern an der aktuellen Entwicklung im Tanzsport. Und genau daraus ergeben sich bei mir eine ganze Reihe von Fragen: Man kann zwar sehr wohl die bisherigen Grundlagenwerke von Laird und Howard als nicht mehr zeitgemäss ausser Kraft setzen, welches sind nun aber die neuen, der Entwicklung angepassten Referenzwerke und wer definiert diese? Marco Sietas empfahl, dass sich die WR an den besten Paaren der Welt orientieren sollte, gleichzeitig plädierte er aber auch dafür, dass die WR mit ihren Wertungen den Tanzsport in die richtige Richtung lenken sollte. Was ist aber die richtige Richtung? Wer definiert diese? Wer sagt bzw. definiert, dass es das ist, was die Toppaare uns aktuell zeigen? Fragen über Fragen, ….. zumindest in diesem Bereich hat dieser interessante Lehrgang nicht nur Antworten geliefert, sondern auch Fragen offen gelassen. Das soll nun aber durchaus nicht negativ gemeint sein, im Gegenteil. Für die Entwicklung, besonders auch im Schweizer Tanzsport, ist es sehr wichtig, dass man sich gemeinsam (Trainer, Wertungsrichter, Paare, Verbandsfunktionäre, …) mit solchen Fragen und Themen über den Kurs hinaus intensiv und nachhaltig auseinandersetzt.


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